Sonntag, 9. November 2014

Fragment #14: Der Läufer

Lange schon ist der Läufer auf seiner Strecke unterwegs, als er erkennt, dass er geradewegs ins Dunkel läuft. Er hebt die Hand vor Augen und sieht sie nicht. Er blickt hinab, doch da sind keine Beine und Füße, die irgendeinen Boden berühren. Alles, was er jetzt weiß und spürt, ist, dass er nun steht, zitternd und fröstelnd von der plötzlichen Kühle, die ihn umgibt. Es ist ihm, als wäre er schon immer gelaufen, von Anbeginn der Tage, ohne je zu rasten und zu ruhen. Und jetzt, da er zum ersten Male steht, fühlt er das Blut in seinen Schläfen pochen, spürt sein Herz laut schlagen. Schnell geht sein Atem, die Brust hebt und senkt sich unentwegt in flachen Zügen. Er spürt die Hitze in sich, doch von außen hüllt ihn die Kälte des trocknenden Schweißes ein.

Und mit einem Schlag versteht er nun, dass es ein Tunnel ist, in den er geradewegs hinein gelaufen ist. Der Atem stockt ihm, er wendet den Blick nach links und rechts und über sich, doch alles, was er sieht, ist nur undurchdringliches Schwarz. Und auch direkt vor ihm ist kein Ende abzusehen: Der Tunnel, in den er geradewegs hineingelaufen ist und in dem er nun atmend steht und zittert, muss endlos sein.

Eine Zeit lang steht er so im Dunkel und versucht zu begreifen. Langsam kühlt das Blut in ihm ab, das Pochen verschwindet aus seinen Schläfen, der Atem geht tiefer und langsamer. Doch in seinem Kopf bleibt eine Leere zurück. Er versucht sich zu konzentrieren, die Kraft der Gedanken zu bündeln, doch nichts regt sich in ihm: Die Welt in ihm bleibt so leer und dunkel, wie es die Welt um ihn ist.

Dann jedoch wendet er den Kopf, sieht hinter sich und erblickt den Punkt aus hellem, weißen Licht. Geblendet reißt er die Hände hinauf und den Kopf herum, schließt im Krampf die Augen, denn furchtbar stechend, wie Nadeln fuhren ihm die Strahlen des hellen, reinen Lichts in Augen und tief in den Kopf hinein. Er taumelt und schwankt im Dunkel, leise knirschen die Sohlen auf dem rauen Boden. Ein leiser Schrei entweicht ihm und hallt durch den Tunnel. Er stolpert wenige Schritte rücklings, fällt und liegt. Ein unförmiger, blutig roter Fleck tanzt vor seinen geschlossenen Lidern. Sein Kopf ruht auf dem kalten, feuchten Boden, die Hände liegen zitternd neben seinen Wangen. Er spürt seinen Atem in den Raum entwichen. Sein leiser Schrei hallt noch lange im Tunnel nach.

Eine Zeit lang liegt er nur da und sieht das Rot vor sich tanzen. Fast scheinen es Formen, ja Bilder zu sein, die sich dort vor ihm, in ihm zeigen und bewegen. Er denkt noch einmal an das Licht, das so schmerzhaft in seinen Kopf eindrang und ein Zittern durchläuft ihn. Doch jetzt, wenn er so liegt und sich den Moment in Erinnerung ruft, weiß er, dass dort, hinter all der auf ihn so stechend wirkenden Helligkeit etwas verborgen lag, etwas verborgen liegen musste, das dieses Leuchten erzeugte. Und jetzt, wo das Rot vor seinen Lidern tanzt, glaubt er, einen Abglanz davon in diesen wabernden Formen wieder zu erkennen. Für einen kurzen Moment glaubt er zu erkennen, glaubt er zu sehen, und hält den Atem an. Er erhebt, ohne zu wissen, was er da tut, die Hand, das zu umfassen, was er dort, wenn auch in rötlichen Schemen als Abglanz erkennt, zu greifen, es an sich und zugleich sich selbst zu ihm empor zu ziehen. Da jedoch erkennt er, dass das Rot bereits zu dunkeln beginnt. Die Formen lösen sich auf, werden zu einem dünnen, rötlichen Nebel und verschwinden schließlich ganz. Noch bleibt seine Hand erhoben, doch er weiß bereits, dass das, was sie eben noch greifen wollte, unerreichbar fern, entrückt und unmöglich zu ergreifen ist, schon immer war und auch immer sein wird. So sinkt die Hand zurück auf den kalten, feuchten Boden und liegt.

Nur einförmiges Schwarz bleibt vor seinen Lidern zurück und als der Läufer endlich die Augen öffnet, ändert sich nichts. Bald findet er wieder zu sich, hebt sich zunächst vorsichtig auf die Knie und steht kurz darauf schon wieder mit beiden Beinen auf dem Boden, erst schwankend, dann immer fester. Er spürt, wie langsam und sicher sein Herz nun schlägt, wie tief und ruhig sein Atem ein und aus geht. Die Kühle auf seinem Körper fühlt er schon nicht mehr, denn längst ist der Schweiß getrocknet. Er steht nur da, im Nichts und atmet.

Irgendwann beginnt der Läufer zu laufen, erst langsam, dann immer schneller, bis er seinen alten Rhythmus gefunden hat, der ihn einst in den Tunnel führte. Er wagt es nicht, den Kopf noch einmal zu wenden. Sein Blick bleibt, so glaubt er, nach vorn in das absolute Dunkel gerichtet und es ist diese Richtung, in die er läuft und läuft.

Donnerstag, 14. August 2014

Fragment #13: Die Wand

Wir standen nebeneinander in der weiten Fläche der Landschaft. Kühl lagen meine nackten Füße auf dem weißen Marmor, das sich in feingefugten Fliesen glänzend und von vielerlei Mustern durchzogen in alle Richtungen ausbreitete und irgendwo in der Distanz als gerade Horizontlinie auf das helle Blau des Himmels traf. Die ferne Sonne stand ungetrübt hoch über uns. Ein leichter Wind bewegte unsere Gewänder. Ein feiner Hauch von Sommer lag in der Luft, wie aus fernen Landen zu uns herangetragen.

»Siehe«, begann er, indem er mir einen kurzen Blick zuwarf, sodass ich meine Augen auf ihn richtete, »diese Welt ist hoch und breit und tief.« Er breitete ruhige die Arme aus, und an seinen Gelenken fiel der Stoff der Ärmel hinab.

Ich nickte stumm und ließ meine Augen noch einmal über die Landschaft wandern.

»Diese Welt ist fest und gerade. Kein Riss durchzieht sie, ihre Kanten sind scharf umzeichnet und ohne Grat. Nichts können die inneren Kräfte ihr anhaben.«

Und als ich seine Worte hörte und mich zugleich umsah, war es mir, als würde sich seine Aussage bestätigen: Die Horizontlinie, an der das Marmor mit dem Blau des Himmels zusammentraf, schien klarer hervorzutreten. Die feinen Fugen der Fliesen zu meinen Füßen erschienen mit deutlicher als zu vor. Ja ich spürte nun den Wind bewegter auf meiner Haut, den Sommergeruch frischer in meiner Nase. Ein angenehmer Schauer durchzog mich und ich schloss lächelnd die Augen. Und hier, allein im inneren Dunkel, nahm ich auch die Klänge der Welt klarer und heller war, den Windes über der endlosen Fläche, das leise Rauschen unserer Gewänder, das Atmen des Meisters und sogleich mein eigenes, das ruhige Pochen des Herzens in meiner Brust, das Säuseln des Blutes in meinen Ohren.

»Und so…«, begann er nun und ich öffnete die Augen wie aus aus einem tiefen, erholsamen Schlaf, »Und so bleiben wir im Außen, die Welt bleibt in ihrer Festigkeit erhalten. Das Muster verändert sich nicht und bleibt stabil.« Für einen Moment schwieg er und Stille kehrte ein, doch diesmal spürte ich eine erwartungsvolle Spannung in mir. Ich hatte meine Augen auf ihn gerichtet, wie er da stand, das Gesicht ausdruckslos, den Blick in die Ferne gerichtet. Für einen Moment wandte er den Kopf und sah mich an, ohne zu sprechen. Seine schmalen Lippen lagen locker aufeinander, die Brauen waren leicht erhoben. Doch in den Augen darunter lag eine kühle Tiefe und ich glaubte für diese eine Sekunde, etwas in seinem Blick zu erkennen – oder war es viel mehr hinter seinem Blick? Ich hielt den Atem an. Es war, als würde sich dort, hinter dem Schimmern seiner Pupillen etwas entfalten, das ich nicht kannte. Doch schon wandte er den Blick wieder ab, zurück dem Horizont entgegen. Zugleich jedoch erhoben sich erneut seine Arme, doch diesmal streckte er sie zielstrebig voran, die Handflächen seiner kleinen, faltigen Händen vorausgerichtet. Es sah aus, als würden diese Handflächen und die langen, dünnen Finger auf einer unsichtbaren Wand zum Liegen kommen.

»Die Welt ist fest gerade, das Muster bleibt stabil«, fasste er zusammen, den Blick auf seine Hände gerichtet. »Doch was ist, wenn wir unseren Standpunkt verändern?«

Und wie als Antwort begann er nun langsam, seinen Oberkörper zur rechten Seite hin zu verschieben, so weit, dass seinen Füße einen kleinen Seitenschritt machten. Seine Hände jedoch ruhten weiterhin fest auf der unsichtbaren Wand. Zugleich schob er Kopf und Oberkörper ein wenig voran, bis sich seine Stirn fast auf Höhe der Hände befand. Dabei wandte er den Blick, so als wolle er geradewegs hinter das sehen, was hinter seinen Händen verborgen liegen musste.

»Was sehen wir?«, fragte er nun, ohne seine Haltung zu verändern. »Was liegt dahinter?«

Er verblieb noch für einige Augenblicke in seiner Position, ohne ein weiteres Wort zu sagen oder eine Frage zu stellen. Dann begann er, seinen Körper zurück in die Ausgangsposition zu bewegen, bis er wieder mit vorausgestreckten Händen da stand. Erst nach einiger Zeit drehte er nun noch einmal den Kopf und diesmal war sein Blick ein anderer: Die dünnen Lippen waren fest aufeinandergepresst, die gräulichen Brauen hielt er etwas zusammengezogen. Wieder lag ein kühler Blick in seinen Augen, doch diesmal war dort noch mehr, was ich nicht zu deuten wusste, Regungen und Bewegungen in der Tiefe, wie Schwaden, die durch einen mir unbekannten Raum trieben. Ich schluckte unwillkürlich. Er musste das Wort nicht aussprechen, denn ich wusste, das ich an der Reihe war.

Also schritt ich langsam an seinem Rücken vorüber und trat nach vorn, direkt neben ihn. Ich sog einmal tief die kühle Luft ein und beugte mich voran, an seinen Händen vorbei, so wie er es gerade selbst getan hatte.

»Was siehst Du?« hörte ich ihn von links sprechen und spürte eine Unruhe in seiner Stimme. Noch einmal atmete ich ein und versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was vor mir lag. Aus dem Augenwinkel sah ich seine Finger, die an der unsichtbaren Wand liegen mussten, doch vor mir erstreckte sich nichts weiter, als die immergleiche Marmorlandschaft, der immergleiche Horizont.

»Die Wand!« hörte ich da und zuckte zusammen. Ich schloss für eine Sekunde die Augen und atmete die Spannung aus, die sich in mir angesammelte hatte. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich es: Eine Starre durchzog meinen Körper, mein Mund öffnete sich. Wieder hörte ich meinen Herzschlag, doch diesmal viel näher und lauter. Das Blut rauschte mir in den Ohren. Mein Körper atmete ein und mit lautem Brausen strömte die Luft in meinen Mund und meine Lunge.

»Du siehst«, hörte ich seine Stimme, wie aus weiter Ferne, wie aus einer anderen Welt, einem anderen Reich, »Du siehst!«

Und tatsächlich sah ich. Seine Hände befanden sich weiter in meinem Blickfeld und sie lagen auf der Wand, welche die Welt von dem trennte, was dahinter lag. Ich fühlte, wie mein Lippen versuchten, Worte zu Formen, Gebete an Götter zu murmeln, die ich nie gekannt hatte. Ich stand allein und sah in das Dunkel.

Mittwoch, 2. April 2014

Sneak-Preview-Review #3: »Ride Along«

Die Story ist schnell erzählt: Der hard boiled cop James ist von der Idee nicht begeistert, dass der in seinen Augen unwürdige Ben dessen Schwester ehelichen will. Um ihm eine Chance zu geben, sich zu beweisen, nimmt er ihn für einen Tag auf Polizeistreife mit. Doch schnell stellt sich einerseits heraus, dass James kein großes Interesse an Bens Versuchen hat, ihn zu überzeugen, und andererseits, dass er nebenher lieber den untergetauchten und mysteriösen Bösewicht »Omar« (argh, da bekam ich bescheuerte Assoziationen mit »The Wire« erstmal nicht aus dem Kopf) nachjagen will, der ihm mal wieder gerade entwischte. als infolge einiger unvorhergesehener Entwicklungen die Schwester und Angebete plötzlich in Gefahr schwebt, muss James zähneknirschend anerkennen, dass er auf Bens Hilfe angewiesen ist.

Es ist nicht überraschend, dass »Ride Along« aus bereits zur Genüge durchgekauten Versatzstücken plus einiger etwas platt geratener Gegenwartsbezüge besteht, die man mit gutem Willen gerade eben als halbironische gesellschaftskritische Versuche erkennen kann. Der Plot des Hampelmannritters, der sich für seine Prinzessin gegenüber deren Beschützer in diversen Aufgaben beweisen muss, lädt auch eher zum Gähnen ein.

Auch die Figuren sind nicht sonderlich innovativ: Während James den typischen hartgesottenen Großstadtpolizist mit kaputtem Sozialleben darstellt, wie man ihn schon zig mal in diversen Cop-Komödien und buddy movies gesehen hat, ist Ben eine einfältige Quasselstrippe mit hyperaktiven Zügen, deren naive Selbstüberschätzung (etwas unlogisch) schnell in Panik umschlägt, sobald ihr die Gefahr der Situation bewusst wird, in der sie gerade steckt. Natürlich bringt gerade das das ungleiche und nicht ganz freiwillig zusammengeschweißte Team immer wieder in brenzlige Situationen – aber ebenso (ein wenig vorhersahbar) auch wieder aus diesen heraus.

Was den Film jedoch auf angenehme Weise von seiner uninspirierten Prämisse abheben lässt, ist letztendlich das wichtigste bei dieser Art von Filmen: Sein Humor funktioniert auf wohltuende und zunächst überraschende Weise gut. Kevin Hart schafft es erstaunlich gut, den sich oft ungewollt durch die Szenen albernden Möchtegern-Cop zur Geltung zu bringen, sodass man am Ende des Films fast so etwas wie Sympathie mit ihm empfindet. Der zwischen, an Eddie Murphy erinnernde (ohne dabei dessen Sprechtempo und Nervigkeit erreichende) , Mund- und Gestenakrobatik und Slapstick-Einlagen pendelnde Humor weiß nach kurzer Eingewöhnungszeit das Eis zu brechen und Ice Cube stellt in seiner Hölzernheit einen passenden, lakonischen Gegenpart dar. Nur die bad guys, allen voran ein müde und gelangweilt wirkender Laurence Fishburne, bleiben ein wenig blass und können nicht wirklich aus dem Schatten der eindimensionalen Rollen heraustreten, die ihnen die Story zuschreibt, sodass sie am Ende eher als notwendiges Material für die ordentlich gemachten Actionszenen erscheinen.

Alles in allem ist Tim Story mit »Ride Along« eine launige Komödie gelungen, die mit zwei gut aufgelegten Hauptdarstellern Punkten und deren Humor dem Zuschauer immer wieder ein Lachen entlocken kann, ohne in die Klamaukecke abzudriften.

Bewertung 7/10

USA 2013
Regie: Tim Story
Drehbuch: Phil Hay, Matt Manfredi, Jason Mantzoukas, Greg Coolidge

Produzent: Ronald G. Muhammad, Ice Cube, Larry Brezner, Nicolas Stern, William Packer, Matt Alvarez
Kamera: Larry Blanford
Komponist:  Christopher Lennertz
Darsteller: Kevin Hart, Ice Cube
Laufzeit: 100 Minuten
Kinostart: 10. April 2014

Kritik auf moviepilot.de

Mittwoch, 26. März 2014

Sneak-Preview-Review #2: »Tracks« (»Spuren«)

»Tracks« ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans der australischen Schriftstellerin Robyn Davidson, in welchem sie ihre 1.700 Meilen lange Reise durch die westaustralische Wüste beschreibt.

Von der ersten Sekunde an zieht »Tracks« den Zuschauer in seinen Bann und er schafft dies auf dreierlei Weise: Auffällig wird zunächst die visuelle Qualität des Films. Hier stimmt wirklich alles, seien es die Panoramaaufnahmen der australischen Outbacks, seien es die impressionistisch anmutenden Sequenzen, in denen Realität, Traum und Erinnerung verschmelzen und ineinander übergehen. Bereits die erste Einstellung gibt mit ihrer Wirkung die Stimmung dessen vor, was den Zuschauer in den kommenden 110 Minuten erwartet: Nicht nur eine Reise im Äußeren, sondern auch im Inneren.

Der zweite Punkt ist der der minimalistisch gehaltene Score, der perfekt Hitze und Abgeschiedenheit der Wüste, wie auch die übrigen Stationen der Reise untermalt.

Zusammen lassen diese beiden inszenatorischen Elemente den Film zu einer immer wieder meditativ wirkenden Erfahrung werden und entfalten dabei einen unheimlichen Sog hinein in eine fremde, heiße Welt, die noch lange nachklingt.

Der dritte und wirklich herausragende Punkt von »Tracks« ist jedoch seine Hauptdarstellerin: Mia Wasikowska spielt die selbstbestimmte junge Frau so souverän, dass man sofort eine emotionale Verbindung zu ihr aufbauen kann – und ab diesem Punkt nimmt der Film den Zuschauer gefangen. Auch die übrigen Darsteller wissen zu überzeugen: Adam Driver passt gut in die Rolle des Journalisten Rick, der die Hauptfigur auf ihrer Reise als Fotograf begleitet. Wirkt er zu Beginn des Films noch etwas einfältig und engstirnig, so zeichnet sich im Laufe der Zeit jedoch eine Veränderung, nicht ohne Ambivalenz, wie auch die Verhalten der beiden Figuren zu einander. Nicht zu vergessen sind schließlich auch die zahllosen tierischen Darsteller, die – als elementarer Bestandteile des Plots – einen starken Eindruck machen.

Dramatisch lässt der Film sich Zeit, sodass genug Gelegenheit bleibt, die Hauptfigur kennenzulernen, die immer wieder ihre Willensstärke und Unabhängigkeit demonstriert. Erst nach und nach legt die Handlung an Spannung zu und zugleich wird immer deutlicher, dass der Weg durch die Wüste immer mehr zu einer Suche dem eigenen Selbst und einer Möglichkeit wird, mit der eigenen Vergangenheit umzugehen. Zugleich wächst das naive Interesse der Außenwelt an der Reise der jungen Frei stetig, was in in immer absurder anmutenden Episoden zum Ausdruck kommt.

Bewertung: 9/10 (…mit der Option auf Aufwertung – ich halte mich mit einer Höchstwertung nur deshalb zurück, weil ich damit nicht einfach so um mich schmeißen will)

Australien/Großbritannien 2013
Regie: John Curran
Drehbuch: Marion Nelson
Produzent: Xavier Marchand
Kamera: Mandy Walker
Komponist:  Garth Stevenson
Darsteller: Mia Wasikowska, Adam Driver
Laufzeit: 110 Minuten
Kinostart: 10. April 2014

Kritik auf moviepilot.de

Mittwoch, 19. März 2014

Sneak-Preview-Review #1: »Words and Pictures«

»Words and Pictures« wird von drei Handlungsebenen bestimmt: Die sich entwickelnde Beziehung zwischen den beiden Hauptcharakteren, der sich daraus ergebende »Wettkampf der Künste« und schließlich das Szenario der Privatschule, vor dem sich beides abspielt.

Leider krankt der Filme dabei gleich an zweien seiner drei Ebenen: Zunächst einmal ist der dargestellte »Lebensraum Privatschule« weder sonderlich originell noch aufregend und insgesamt bleibt die Institution mit ihren High-Society-Milchgesichtern blass und der sich entwickelnde Subplot um eine drangsalierte Schülerin wirkt aufgesetzt und wird schnell als reines Mittel zum Zweck deutlich, der Haupthandlung mehr Spannung zuzuführen.

Der zweite und viel schwerer wirkende Kritikpunkt liegt jedoch in der (ich traue mich fast gar nicht, sie überhaupt so zu bezeichnen) »kunsttheoretischen« Prämisse des Films, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist: Der vor dem Hintergrund der Schule inszenierte Wettstreit zwischen Worten und Bildern ist von der Sekunde seiner Ausformulierung an eher für ein Gähnen gut, gerade weil sich auch der kunstdesinteressierteste Zuschauer denken kann, in welche Richtung die Lösung des Ganzen tendieren wird. Natürlich stellt der Film von Anfang an klar, dass es bei diesem Kampf gar nicht um die Sache selbst geht, sondern um die angeknacksten Egos der beiden Hauptcharaktere und um die für alle Beteiligten letztendlich inspirierende und quasi emotionale Ressourcen mobilisierende Wirkung des Ganzen. Leider reitet der Film dennoch immer wieder auf seiner allem vorausgehenden, äußerst seichten und pseudointellektuellen Behandlung von Kunst herum, die nach viel zu langen 111 Minuten in einem rührseligen Finale kulminiert, in dem besonders das anfangs noch erträgliche Runterzitieren amerikanischer Schriftsteller außer Kontrolle gerät und als weiteres Indiz für die Schwurbeligkeit des geistigen Überbaus von »Words and Pictures« erkennbar wird: Wenn das Drehbuch nicht mehr weiter weiß, werden halt wahllos Zitate der »Großen« ausgegraben.

Die dritte Handlungsebene rettet den Film dann doch noch auf ein fast schon sympathisches Mittelmaß: Zwar stellt sich die Beziehung zwischen Jack und Dina schnell als am Reißbrett entworfen heraus, doch die beiden Hauptcharaktere können dieser Vorhersehbarkeit eines gutes Stück entrinnen. Beide sind angenehm schrullig, widerborstig und ihre menschlichen Schattenseiten treten deutlich hervor – selbst wenn Jack als auf Grund gelaufener Autor, der sich an seinen Job als Englischlehrer an einer Privatschule klammert und angesichts seiner Schreibblockade und der Entfremdung seines Sohnes schleichend in die Alkoholabhängigkeit rutscht, schnell in der Klischeekiste landet. Sein loses, die Umgebung mit ungezählten etymologisches Klugscheißeren über die von ihm so hoch verehrte englische Sprache nervendes Mundwerk wirkt dann wieder wie eine künstliche Drehbuchidee, die zunehmend nervt, ähnlich wie der zu oft zur Schau gestellte kollegiale Wettstreit um das Aufspüren von Worten mit schwindelerregenden Silbenzahlen. Clive Owen gelingt es jedoch immer wieder, dem etwas holzschnitthaften Charakter erheiternde Momente abzutrotzen und der statischen Figur Leben einzuhauchen, auch wenn das Drehbuch ihn zu einem eher unsympathischen Kotzbrocken zu degradieren versucht.

Als wirklich gelungenen Charakter lässt sich dagegen die scharfzüngige Dina, eine ehemalige Künstlerin, deren Leben und Schaffen von einer körperliche Erkrankung aus der Bahn geworfen wurde, beschreiben – nicht zuletzt durch Juliette Binoches Verkörperung wird sie zur deutlich runderen und interessanteren der beiden Hauptfiguren und kann ehrliches Interesse wecken, ohne in Klischees zu verfallen.

Auch das Zusammenspiel der Beiden von der Welt und sich selbst Enttäuschten, die jedoch immer wieder kindliche Aufgewecktheit durchblickt lassen, ist eines der gelungeneren Elemente des Films und schafft es den Großteil der Zeit über, dass man die Kritikpunkte für eine Zeit lang beiseite legen und sich von der herrlichen Chemie der beiden Charaktere hinreißen lassen kann.

An diesem Punkt empfinde ich es als wirklich schade, dass »Words and Pictures« letztendlich nur an der emotionalen Oberfläche seiner beiden Hauptcharaktere kratzt, an ihren Hoffnungen und Abgründen. Es ist genau diese Ebene, die, getragen von den gut gelaunten Darstellern, den Film vor einem Totalausfall rettet – und immer wieder auch darüber hinaus. Leider befasst sich der Film stattdessen lieber zu viel mit seinen überflüssigen pseudointellektuellen Kunstbetrachtungen und dem nicht wirklich aus der Masse dieser Filme herausragenden Alltagsleben der Privatschule. Hätte der Film sich auf seine Charaktere konzentriert und alles andere auf das Nötigste reduziert und gestrafft, wäre das Endergebnis wahrscheinlich deutlich interessanter geworden.

Bewertung: 6/10

USA 2013
Regie: Fred Schepisi
Drehbuch: Gerald Di Pego
Darsteller: Clive Owen, Juliette Binoche, Valerie Tian, Bruce Davison
Laufzeit: 111 Minuten
Kinostart: 22. Mai 2014

Kritik auf moviepilot.de

Sonntag, 26. Januar 2014

Klangskulptur #7: Stranded Pt. 2 - The Mountain Pass at Rhandarak



Samstag, 25. Januar 2014

Klangskulptur #6: The Darkness


Montag, 20. Januar 2014

Fragment #12: Die Schildkröte

Der Mann liegt flach auf dem Boden. Arme und Beine sind in alle Richtungen ausgestreckt, sind jedoch zugleich an den Ellenbogen und Knien abgeknickt und reichen von dort aus steil in die Höhe, fort vom dunklen, etwas schmutzigen Boden des Raumes. Die leicht angewinkelten Füße stecken in schwarzen, kaum noch glänzenden Schuhen, die Hände hängen schlaff an den Gelenken herab.

Auf dem Rücken des Mannes lastet ein schweres Gewicht. Es ist grau und von grober Oberflächenstruktur, insgesamt unregelmäßig geformt, und drückt den Körper unbarmherzig und mit ganzer Kraft zu Boden. Fast den gesamten Leib des Mannes verdeckt das Gewicht, sodass vom schwarzen Gehrock nur die Ärmel erkennbar bleiben. Wo die Arme und Beine unter der grauen, festen Masse hervorragen, sind deren schützende Haut- und Kleidungsschichten tief eingedrückt. Rock, Hemd und Hose sind an diesen Stellen bereits zerrissen, Haut und Knochen treten an diesen Kanten des Gewichts, wo es mit dem Leib abschließt, deutlich hervor und getrocknetes Blut ist hier und da zu erkennen.

Über die Wirbelsäule im Körper des Mannes wird auch der Kopf des Mannes hinabgedrückt, sodass das vorn sitzende Gesicht unerkennbar gen Boden gerichtet ist und darauf aufliegt. Man kann nur vermuten, dass die Nase schief gebogen ist und sich die Front des Gesichts also zusätzlich auf Stirn und Kinn stützen muss.

So liegt der Mann da wie eine ganz besondere Schildkröte und wenn man dabeisteht und ihn studiert, könnte man denken, dass das grobe, graue Gewicht tatsächlich eine Art dazugehöriger, damit verbundener Panzer ist und somit einen wichtigen, lebendigen Teil des Schildkrötenmannes darstellt, das er also ihr höchst eigener ist und er ihm von der Natur zuwiesen wurde.

Im weitaus üblichsten Fall liegt diese besondere Schildkröte nur da, ganz faul, und rührt sich nicht. In solchen Phasen der Ruhe bringt sie nichts auf dieser Welt aus ihrer Haltung heraus, selbst wenn man schmackhafte Knabbereien vor sie hinstreut oder eine frische Schale Wasser neben ihren hinabgesenkten Kopf stellt. Lange kann man so dabeistehen und sich in Geduld üben, um dann aber doch früher oder später nervös mit den Füßen auf den Boden zu tippen und ein vielleicht zu nächst fröhliches, dann schließlich aber doch immer schlechter gelaunt klingenderes Lied summen, bis die Zeit zu lang wird und die Geduld schließlich erschöpft ist. An diesem Punkt muss man sich unweigerlich zur Schildkröte hinabbeugen, um ihr zunächst einen leichten Klaps auf den Kopf zu verpassen, den man dann jedoch, weil keinerlei Reaktion erfolgt, kräftiger und nochmals kräftiger wiederholt. Da aber in einer solchen Ruhephase weiterhin nichts von Seiten des Tieres zu erwarten ist, könnte man früher oder später ausgesprochen zornig werden, mit einem wütenden Ausruf den Eimer mit dem Wasser über dem Haupt der Schildkröte ausschütten, die herausstehenden und emporgerichteten Gliedmaßen ergreifen und mit groben Stößen zu bewegen versuchen oder, weil auch dies zu nichts führt, schließlich mit den Schuhspitzen nach der ein oder anderen Gliedmaße oder gar dem weiterhin hinabgerichteten Kopf treten, um nur irgendeine Reaktion hervorzurufen. Doch in solch einer Situation hilft nichts, kein Geschrei und keine Gewalt, denn die Schildkröte rührt sich nicht und man kann nur vermuten, dass sie tief in sich ruht und ihr Umfeld, ja selbst ihren eigenen Leib und das, was diesem angetan wird, gar nicht wahrnimmt. In dieser Situation muss man irgendwann resigniert aufgeben und sich zurückfallen lassen, um zu sitzen und zu warten, den Blick auf das störrische Tier gerichtet.

Ganz plötzlich könnte es nun dazu kommen, dass die Schildkröte in einem wachen Zustand eintritt. Dann beginnen ihre Gliedmaßen leicht zu zittern und zu zucken. Die Beine fangen an, mal mehr, mal weniger in den Raum zu treten, und man könnte manchmal vermuten, dass sie sich bewegen, als würden sie zu laufen oder gar zu rennen versuchen. Zugleich schwingen jetzt auch immer die Arme an den Ellenbogen und ziehen leere Kreise: Die Hände verlassen dann oft ihre schlaffe Position und richten sich auf, die Finger strecken sich hinauf und krümmen sich zugleich, so als würden sie zwei große runde, unsichtbare Knäufe irgendwo im Raum umgreifen und an diesen zerren und rütteln. Vielleicht erwartet die Schildkröte, auf diese Weise einen speziellen Mechanismus in Gang zu setzen, über dessen Funktion und Wirkungsweise sich nur spekulieren lässt, denn der Raum ist ja bis auf sie selbst, den inzwischen erstaunt aufgesprungenen Beobachter, die umgekippte Schüssel mit dem Wasser und die dahingestreuten Knabbereien vollkommen leer. Arme und Beine zappeln nun also in einer solchen Phase der Aktivität umher und man muss aufpassen, nicht von einer der Gliedmaßen getroffen und unter Umständen verletzt zu werden, denn die Tritte und Stöße können sehr kräftig und voller Elan sein, was schnell dazu führt, dass der Beobachter sich in sichere Distanz zur Schildkröte begibt. Ganz im Gegensatz zu diesem Wilden treiben aber liegt der Kopf des Tieres die ganze Zeit über weiterhin flach und unbewegt da, und das Gesicht bleibt unerkannt mit dem Boden verbunden. Allerhöchstens zuckt und zittert das Haupt vielleicht, doch es lässt sich nicht feststellen, ob diese Bewegung nur die Folge der wilden Bewegungen ist, welche die anderen Glieder ausführen und so die einstige Ruhelage des Kopfes in Mitleidenschaft ziehen.

In einer solchen Situation wäre es nur verständlich, würde man, in einiger Entfernung dabei stehend, nach dieser unerwarteten Veränderung spüren, wie sich ein Schmunzeln auf den eigenen Lippen ausbreitet, wenn man beobachten kann, wie sich das seltsame Geschöpf verhält, wie die Hände sinnlos greifen und die Beine albern im Raum strampeln. Doch bei diesem Schmunzeln würde es natürlich nicht bleiben, es würde fast mit Notwendigkeit immer mehr zu einem breiten Grinsen und alsbald zu einem Lachen heranwachsen, das schnell schon aus dem Mund des Beobachters hervorquillt und schnell beginnt, den ganzen Körper zu durchschütteln. Es ist dem Geist ja schwer begreiflich, was für wunderbare und zugleich rätselhafte Wesen der Menschengott doch geschaffen und in die Welt gesetzt hat, in all ihren eigentümlichen Formen und mit all ihren unausdeutbaren Gebärden, die den Verstand des Beobachters kitzeln, bis alles im Kopfe schwirrt und surrt, bis die Augen wild rollen, die Zunge im Mund umher schlackert und ein feines Säuseln in den Ohren klingt. Stetig nehmen die Reize zu, die auf den Beobachter einströmen, Geist und Körper werden von ungekannten, auf angenehme Weise verwirrenden Strömen durchflossen und durchzuckt. Schließlich sinkt man unter diesen körperlich gewordenen Eindrücken auf die Knie, während der Atem schon glucksend und wiehernd geht und bald immer schwerer fällt. Noch einmal wirft man im Rausch den Kopf in den Nacken, ein finales Lachen löst sich aus der Kehle und erschallt weit in den Raum hinaus, bis aller Atem erschöpft ist.

Noch während der Beobachter jedoch wieder nach Luft für die nächste Welle des Lachens schnappt, muss der Blick wieder zurück und hinab auf die Schildkröte fallen -- und dabei erstarren. Es fällt zunächst garnicht auf, dass das Tier in seiner Bewegung innegehalten hat, denn es ist sein Kopf, der sich in diesem Moment ein Stück weit gehoben hat. Das Gesicht aber, das sich nun zum ersten Mal im Dämmerlicht des Raumes zeigt, lässt jedes Lachen jäh verstummen. Die Nase ist nach Rechts abgeknickt, die Stirn ist vom langen Liegen schwielig, das Kinn blutig, die zusammengepressten Lippen sind gerötet und geschwollen. Doch das, was dem Beobachter den Atem verschlägt, ist der Blick der beiden glasigen, eingefallenen Augen, die wie aus weiter Ferne aus den Höhlen heraus und tief in den Raum hinaussehen. Der Blick ist nicht auf den Beobachter gerichtet, sondern geht geradewegs durch ihn hindurch und in die Unendlichkeit des Raumes hinein. Für einen Moment kehrt vollkommene Stille und Unbeweglichkeit in alles in der Umgebung ein. Der Beobachter sitzt in dieser Situation auf den Knien und starrt offenen Mundes und atemlos hinab auf den erhobenen Kopf des Schildkrötenmannes zu seinen Füßen, dessen Körper ja unter dem grauen Gewicht gequetscht im Raum liegt. Keines der Glieder irgendeines Anwesenden rührt sich oder zittert auch nur. Alles ist reglos und stumm.

Es ist der röchelnde Klang des Einatmens, das die Stille schließlich durchbricht, denn die Lungen des erstarrten Beobachters müssen irgendwann ganz von allein Luft durch den Hals saugen, den der Schrecken ja noch immer zusammengekrampft hält. Doch zusammen mit diesem Geräusch ist es, als wenn sich im Beobachter etwas löst, eine feine Struktur zerbricht und zerfällt. In plötzlicher Bewegung schlägt er nun klatschend die Hände vor's Gesicht und stößt einen zunächst leisen Ruf aus, der schnell anzuschwellen beginnt, aber kurz, bevor er zu einem ausgedehnten Schrei werden kann, wieder abfällt und in Jaulen und schließlich einem hohen Wimmern versinkt. Durch den ganzen Körper des Beobachters geht nun ein Schlottern. Unter den Händen, die sich auf das Gesicht pressen, zuckt das Kinn auf und ab. Dann reißt er die Arme und Hände empor in die Luft und zugleich schiebt sich der Körper hinauf aus der gebeugten Haltung und dreht sich im selben Zuge. Für einen Augenblick schwankt der Beobachter, als wäre alles Blut in die Beine gesackt. Dann aber beginnt er zu laufen, zu rennen, stolpert ein, zwei Male, rappelt sich wieder auf und stürmt weiter davon, bis seine Schritte irgendwann im Raum verhallen.

Dagegen liegt der Mann nun wieder ruhig da. Der Kopf lastet, Gesicht voran, auf dem Boden. Die Glieder stehen ausgestreckt auf Knien und Ellenbogen. Das graue Gewicht aber lastet weiter schwer auf dem zerbrochenen und zermalmten Rücken.

Sonntag, 5. Januar 2014

Klangskulptur #5: Sweet Remembrance


Freitag, 3. Januar 2014

Klangskulptur #4: Guided Steps



Donnerstag, 2. Januar 2014

Klangskulptur #3: Frozen