Montag, 16. Dezember 2013

Fragment #11: Die Männer des Königs

»Man nennt sie ›Die Männer des Königs‹«, hatte man mir im Dorfe gesagt. »Hochgereckte Edelmänner, deren Blicke weit über alle Teile des Landes streichen. Von fester Statur sind sie, die Arme sicher vor den Gewändern verschränkt, die Schwerter in den Scheiden und immer bereit. Vor ihnen nieder beugen sich die Ländereien und alles, was darauf wächst und geht. Ihr Anblick strahlt Ehre und Stolz aus. Ihre Gesichter sind edel: Saubere, fein gezeichnete Antlitze mit würdevollen, ehrenhaften Zügen, hell strahlenden, gütig leuchtenden Augensternen, freundlich dahingezogenen Lippen und kühn hervorstoßenden Nasen. Glänzende Fürstenkronen ruhen auf ihren erhobenen Häuptern, vom König selbst verliehen – für mutige Taten, in denen sich die drei Männer als noble Helden erwiesen. Nun stehen sie und halten in dieser Standfestigkeit Wache, Tag und Nacht. Sie erwarten die Rückkehr ihres hohen Herren, des Königs daselbst.«

So hatte ich die Anhöhe erklommen und war durch den Wald gestreift, der die gegenüberliegende Seite des Hügels dicht bewucherte. Doch als ich dann aus dem Schatten der Bäume hinaus auf die Lichtung trat und die Männer vor mir erkannte, blieb ich verwundert stehen. Denn was sich dort vor mir erhoben, waren nur drei geknickt wirkende, ergraute Gestalten. Vielleicht war es nur das unebene Land, aus dem sie herausstachen, oder der von schiefen Wolken behangene Himmel, vor dem sie sich abzeichneten oder vielleicht war es auch nur meine eigene, niedrige Stellung, deren Perspektive auf seltsame Weise stauchend, biegend und verzerrend wirkte, hier, am tiefsten Punkt am Fuße des Hügels. Es war mir, als wenn die drei Männer sich mit ihren gekrümmten Rücken über mich und zu mir herabbeugten, wie ich dort regungslos am Rand des Waldes bei der Lichtung stand und hinaufblickte. Nichts war von ihrer stolzen, hochgereckten Statur noch zu spüren, von ihrer Ehre. Die einst so starken Arme waren nun wie unsichtbar hinter ihren Buckeln verschränkt und verschwunden. Die Schwerter hatten sie längst verloren.

Die sich mir entgegen zu beugen scheinenden Gesichter waren abgemagert und faltig. Zwischen eingefallenen, knochigen Zügen lagen tief vergrabene Augäpfel ohne jeden Glanz von Licht. Krumm waren die Nasen, grau und schütter die Haare, von denen längst die Fürstenkronen herabgeglitten und zu Boden gefallen waren, um irgendwo im Gestrüpp für immer zu verschwinden.

Jeder Glanz, jeder Stolz war von ihnen abgefallen. Wie Bettler sahen sie auf mich hinab und ihre einstige Größe hatte sich zu Krummheit verbogen. Dagegen wirkte das unebene, zerfurchte Hügelland, auf dem sie standen, bewegt und drohend: Knorrige, kahle Bäume reckten ihre schwarzen Astfinger empor, kratzten an den grauen Beinen und versuchten hier und da, sie zu umschlingen und sie herab zu zerren. Seltsame Naturkräfte hatten einen unförmigen Hügel zwischen zwei der Männer getrieben und dieser war dabei, die beiden Gestalten auseinander zu drücken, sodass sienun noch schiefer aus der Landschaft ragten. Der dritte aber stand nur teilnahmslos dabei und schien einem ungewisses Schicksal entgegenzubeten.

Wie jämmerlich sie in ihrer Wehrlosigkeit doch wirkten, diese Männer des Königs – diese krummen Bettler!

Und als mich diese Erkenntnis traf, da breitete ich meine Arme aus und beugte mich vor ihnen nieder, senkte mich hinab, bis meine Stirn das Gestrüpp des Bodens berührte.